Die nördlichste Insel der Zentralgruppe ist auch gleichzeitig die flachste des gesamten Archipels. Mit nur 405 Metern ist bereits die höchste Erhebung auf der Caldeira erreicht. Mit einer Länge von 12,6 Kilometern und einer maximalen Breite von 7 Kilometern gehört Graciosa zu den kleineren Inseln der Azoren, nur Corvo in der westlichen Gruppe ist noch kleiner.
Geschichte
Fast 5.000 Einwohner bevölkern das knapp 61 km² große Eiland, das wohl zur gleichen Zeit wie die andern Inseln der Zentralgruppe entdeckt und später von Portugiesen und flämischen Einwanderern besiedelt wurde. Zu Beginn der Urbanisierung wurden die Flächen im Süden der Insel kultiviert, da der Boden hier fruchtbarer war. Nur vier Gemeinden mit verschiedenen kleinen Siedlungen sind auf der Insel zu finden. Die älteste Stadt ist Santa Cruz. 1486 wurden dem Flecken die Stadtrechte verliehen. 60 Jahre später wurde diese Ehre auch Praia zuteil. Trotz der geringen Bedeutung wurde auch Graciosa im 16. und 17. Jahrhundert Ziel von Angriffen und Plünderungen durch Piraten, die hier allerdings sehr viel weniger Beute machen konnten als auf der wesentlich wichtigeren Nachbarinsel Terceira, mit der die wenigen Bewohner Handel trieben.
Der auf der Insel angebaute Wein und der daraus hergestellte Branntwein wurden auch von den Nachbarn sehr geschätzt. Durch eine andauernde Trockenheit ging der Weinanbau besonders im 19. Jahrhundert immer weiter zurück, und die Bevölkerung verarmte zusehends, was eine Auswanderungswelle nach Nordamerika nach sich zog, die sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte und zwischen 1950 und 1970 ihren Höhepunkt erreichte. Erst in den 1980er Jahren kam mit dem Bau des Handelshafens in Praia und der Einrichtung eines Flughafens neue Hoffnung auf die Insel. Die Wiederbelebung des Weinanbaus seit 1994 führte dazu, dass den bis heute wichtigsten Einnahmen aus der Milch- und Viehwirtschaft eine neue Einnahmequelle hinzugefügt wurde.
Ausgezeichnete Natur
Die gesamte Insel Graciosa wurde von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt, wodurch ein besonderer Schutz der einzigartigen Natur auf der Insel möglich geworden ist. Als schönste Region der Insel gilt die Caldeira da Graciosa. Der Krater des kleinsten Zentralvulkans der Azoren hat eine Tiefe von 270 Metern und einen Durchmesser, der zwischen 800 Metern und 1,6 Kilometern beträgt. Das Innere des Kraterkessels, das nicht nur durch eine Besteigung des Berges, sondern auch durch einen Tunnel erreicht werden kann, ist geprägt von einer üppigen Natur, die sich – von Menschenhand angelegt – mit Japanischen Sicheltannen, Akazien und Tannen schnell in der vulkanischen Umgebung ausgebreitet hat. Eine besondere Attraktion in der Caldeira ist die Schwefelgrotte Furna do Enxofre, eine riesige Höhle, die wegen ihres etwa 40 Meter hohen Gewölbes auch als Kathedrale des Azorenvulkanismus bezeichnet wird. Der Abstieg in diese beeindruckende Grotte, die einen See und eine Schlammfumarole beherbergt, erfolgt über eine lange Wendeltreppe, deren 183 Stufen in eine mit Schwefelduft erfüllte faszinierende Welt führen.
Die spektakuläre Küstenlinie von Graciosa begeistert durch stark zerklüftete Felsformationen, die sich steil abfallend in die Tiefe stürzen. Die Serra Branca mit ihrem weißen Gestein und die Ponta da Restinga sind besonders schöne Beispiele für die imposante Kulisse, die jeden Besucher in ihren Bann zieht. Obwohl Graciosa die flachste aller Azoreninseln ist, findet sich auf der Ponta da Barca jedoch der höchstgelegene Leuchtturm der Inselgruppe. Die Aussicht von diesem Punkt ist atemberaubend schön. Das weite Meer und das Wahrzeichen der Insel, die Ilheu da Baleia, der einem Wal gleichende Felsen im Meer vor der Küste, sind von hier aus wunderbar zu sehen und lassen den Betrachter eine tiefe innere Ruhe erfahren, die er noch lange genießen möchte.
Durch ihre flache Landschaft eignet sich die Insel perfekt für ein Energieprojekt, das im Jahr 2012 gestartet wurde: In Zukunft soll die Insel Graciosa zu 100 Prozent aus Windkraft und Solarenergie versorgt werden. Damit könnte die Insel zu einem Vorzeigeobjekt auf der ganzen Welt werden.
Wellness á la nature
Taucher und Angler finden auf Graciosa besonders lohnenswerte Ziele rund um das kleine Eiland. Aber auch andere Wassersportarten sind auf der Insel, wie auf den gesamten Azoren, beliebte Freizeitbeschäftigungen.
Tiefe Entspannung bei Wassertemperaturen um 40°C finden nicht nur stets gestresste Zeitgenossen im Thermalbad von Carapacho. In einer traumhaften Umgebung mit einem unvergleichlichen Blick auf das Meer, kann man aus einem breiten Wellnessangebot das Passende aussuchen. Thalassotherapie ist im nahegelegenen Naturschwimmbad möglich. Heiße Thermalquellen erwärmen das Meerwasser und lassen den Erholungsuchenden in der modern gestalteten Anlage die totale Entspannung erleben.
Urlaub in der Mühle
Bei einer Tour über die Insel kann man die zahlreichen architektonischen Spezialitäten von Graciosa entdecken. Besonders interessant ist die Stierkampfarena von Santa Cruz. Das kreisrunde Stadion wurde direkt in einen Vulkankrater gebaut. Natürliche Gegebenheiten wurden so perfekt mit technischen Notwendigkeiten und stilistischen Feinheiten verbunden. Die zahlreichen Kirchen und Kapellen der Insel sind genauso sehenswert, wie die historischen Windmühlen und Landsitze, die außerhalb so schöner Ortschaften wie Guadalupe oder Vitoria zu finden sind. Einige dieser alten und gemütlichen Mühlen kann man mieten. Als Feriendomizil für Ruhe- und Erholungsuchende sind diese steinernen Zeugen der Vergangenheit der perfekte Ort, um vom Stress des Alltags auszuruhen und die Seele baumeln zu lassen.
Wenn man die Inseln dann doch irgendwann einmal verlassen muss, kann man als Souvenir die für Graciosa typischen Handarbeiten mitnehmen. Die Häkel- und Stickarbeiten werden nicht nur an Touristen verkauft, sondern zieren auch viele der kleinen Fischerhäuser in Praia.
Karneval und Queijadas
Der August steht auf Graciosa im Zeichen des Festes, das dem „Senhor Cristo dos Milagros“ gewidmet ist. Mit Musik und Folklore wird in der Altstadt von Santa Cruz der Glauben der Insulaner gefeiert, der ihnen Zuversicht und Lebensfreude vermittelt. Eine Lebensfreude, die auch beim Karneval zum Ausdruck gebracht wird. In der Faschingszeit ziehen mit originellen Kostümen verkleidete Menschen durch die engen Straßen der Städte.
Bei solchen Veranstaltungen kann man auch die kulinarischen Spezialitäten der Insel ausprobieren. Frischer Fisch, gegrillt oder im Eintopf, fast immer aber mit Knoblauch gewürzt und mit Melone verfeinert, sind auf Graciosa auf jeder Speisekarte zu finden. Ein ganz spezieller Gaumengenuss sind jedoch die Queijadas da Graciosa, eine Süßspeise, die nach traditionellen Rezepten zubereitet wird und auf den ganzen Azoren als Dessert äußerst beliebt ist. Abgerundet wird das Ganze dann mit einem Wein aus der orginalen Verdelho-Traube, die auf den anderen Inseln lange Zeit fast nicht mehr zu finden war, da die Rebstöcke dort von Läusen zerstört wurden. Dieses Schicksal blieb den Menschen auf Graciosa erspart, und so konnten sie immer diesen traditionellen Wein bei ihren Festen und zum Essen genießen.